Henryk Gericke
Rede zur Eröffnung der Ausstellung eat the world von Michael Lapuks

Michael Lapuks hat die Welt gesehen. Als freier Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes führte ihn die Kunst an eine kaum zu überschauende Zahl von Orten und Unorten in die Länder der uns bekannten Welt.

Die Welt … Michael Lapuks hat den Raum durchmessen, den wir Welt nennen. In den über zwanzig Jahren seiner Raumfahrten hat er zwar immer größere Distanzen zurückgelegt, dabei aber auch erfahren, wie diese Welt zur Warenwelt schrumpfte. An dieser Stelle soll nicht die obligatorische Globalisierungskritik folgen. Aber festzustellen bleibt doch, daß mit der Zeit auch der Raum aus den Fugen ist.

Der Titel von Michael Lapuks’ Ausstellung “eat the world” könnte frei übersetzt bedeuten; was kostet die Welt? Schaut man über den Rand der gefüllten Teller hinter den Horizont? Als ein sogenanntes Grundbedürfnis ist das Essen ein Ausdruck unserer Welt. Michael Lapuks’ Fotografien der Rezepte dieser Welt inszenieren dieses Grundbedürfnis, nicht aber dessen Befriedigung. Man kann sich satt sehen an der globalen Speisekarte à la Lapuks, doch es wird kein Mensch satt auf diesen Fotografien. Insofern sind diese Bilder vielleicht eine ebenso subtile wie drastische Reaktion auf den Begriff des Foodporn, wie wir ihn aus den asozialen Netzwerken bzw. vom kapitalistischen Wettbewerb um das geilste Leben kennen. Und tatsächlich ist die schamlose Verheißung auf das Stillen des Hungers nach Genuß in ihrer immer unerfüllten Gier auch obszön. Doch nicht umsonst reimt sich obszön auf schön. Daher ist es mitunter sinnvoll, das Werk nicht von seinem Autor, sondern vielmehr von seiner Ästhetik zu trennen. Denn die fotografierten Menü-Installationen kann man auch als versachlichte Abbildungen eines Überflusses verstehen: Wer soll das alles essen? Und wer sagt: Du darfst! Und wer: Du darfst nicht?

Als ich mir die Initialen von Michael Lapuks vergegenwärtigte, mußte ich an ein berühmt- berüchtigtes Studienfach in der DDR denken – an das Fach Marxismus-Leninismus, das als Abkürzung allgemein nur unter der Chiffre ML firmierte. Sind die Initialen des Künstlers die schicksalhafte Anmoderation einer Weltanschauung? Diese Frage mag reizvoll sein, doch im Grunde stellt sie sich nicht. Man muß kein Marxist sein, um den Markt zu kritisieren. Schon gar nicht, wenn man ihn in seiner sinnlichen, und in diesem Fall in seiner abgekochten Rohheit vorführt, wie es Michael Lapuks mit der Serie seiner Speisefolgen tut. Doch wenn einem bei ihrem Anblick nicht nur das Wasser im Munde zusammenläuft, dann ist ein Unbehagen am großen Fressen der Welt zu registrieren, dessen inszenierte Regionalität für die Austauschbarkeit der Welten innerhalb der einen Welt stehen mag. So wie die Menüs unberührt und ungeplündert abgebildet sind, so sind sie auch unberührt von allem Persönlichem. Hier entfaltet sich keine regionale Küche, auch wenn die verschiedenen Speisen dies suggerieren. Die Liebe zum Detail entspricht hier der Liebe zum Design, und das Design ist eine Domäne des weltumspannenden Auftritts. In diesem Fall in Vitrinen, auf Tabletts, auf Speisekonsolen und auf weißen Tellern, die das Weiße im Auge des Verzückten spiegeln. Am irritierendsten (hier dient eine negative Kategorie als positiver Verweis) erscheint mir ausgerechnet ein Foto, daß, wie aus seinem Kontext gerissen, auch als Tierfotografie gelten könnte. Es ist das schrecklich-schöne Motiv einer hastend- kriechenden Schneckenkolonie, in welcher das Produkt zur Entsprechung seines Konsumenten wird; denn die Welt des Konsums ist ein Wimmelbild.

Die Welt … Michael Lapuks hat sie gesehen. Er durchmaß den Raum, den wir Welt nennen. Er schaute hinter den Horizont, aber seine Bilder meiden den Horizont. Beinahe immer bleibt er verstellt und ist lediglich Raum zwischen den Häusern, ist Raum zwischen den Räumen. Wenn es heißt, alles was ein Künstler abbildet, sei immer auch ein Selbstportrait, so scheinen mir die Portraits der Häuser eine Fortführung früherer Arbeiten von Michael Lapuks zu sein. In den 90er Jahren arbeitete der Künstler intensiv an einer Serie von Selbstporträts. Ihre schlichte Linearität nahm seine späteren architektonischen Zeichnungen in deren frugalen Umrissen wieder auf. Selbstportraits gehen mit einem Akt der Selbstvergewisserung einher. Doch wo dieser ohne Fragen auskommt, kann das Bild von einem selbst nie ganzheitlich sein. Michael Lapuks aber fragt. Der äußere Ausdruck einer Frage kann die Maske sein. Wir sehen in dieser Ausstellung gleich eine ganze Serie von Masken. Sie sind schön, ohne Frage. Aber die Frage stellt sich ähnlich im Angesicht der Serie von Foodportraits; was ist hinter der Schönheit, was ist hinter der Maske, was ist hinter den Sichtblenden der Welt?

Noch intensiver oder – noch maskierter stellt sich die Frage bei Michael Lapuks Fotografien verrammelter Gebäude. Aus einer umfangreichen Serie präsentiert der zeichnende Fotograf drei von ihnen in dieser Ausstellung. Für mein Empfinden stellen sie auf ihre zurückhaltende Weise das leise pulsende Zentrum der Schau dar. Sie repräsentieren schweigend all die Fragen, die sich einem Künstler, einem Menschen, stellen können: z.B. durch die Bilder, welche sich ihm auf seinen Reisen bieten.

Das Bedürfnis zu reisen wird mit Selbstfindung assoziiert. Doch ist es nicht ein verbreiteter Irrtum anzunehmen, das Ziel der berühmten Suche nach sich selbst, sei bei sich selber anzukommen? Geht der suchende Mensch nicht vielmehr über die Grenzen seines Sehens und über den Horizont seines Denkens hinaus und macht sich diese Grenzverschiebung in einem Akt positiver Selbstentfremdung zu eigen? Das Fremde aber liegt hier hinter der Schwelle, hinter den verschlossenen Türen aufgelassener Gebäude. Im Falle dieser drei Fotografien machen die verrammelten Zugänge die Pforten der Erkenntnis auf.

Michael Lapuks durchmaß die Welt, wir nennen sie Raum. Hinter den verschlossenen Türen liegt sein Weltraum, denn der verschlossene Raum ist immer ein Projektionsraum. Der Raum bin ich. Ich fülle ihn nicht mit dem, was ich erreicht habe, was mir zuflog, was mich glücklich macht. Ich fülle ihn mit Erwartungen, einige von ihnen heißen Hoffnungen. Ich fülle ihn mit Erinnerungen, mit Träumen, mit Trauer, mit der unerfüllten Liebe zu einem Menschen und mit den Freunden fürs Leben, unter denen sich auch ein verschüttetes Bild meiner selbst befinden kann. Und ich fülle ihn mit Fragen ohne Antworten, ich fülle ihn mit … Leere.

Doch kein Raum ist leer. Schon gar nicht in unseren Vorstellungen vom Verborgenen. Der Raum hinter der Tür ist ein unbekannter Kontinent. Es scheint der achte Kontinent zu sein, der noch nach Michael Lapuks ruft. Vielleicht liegen hinter der Tür aber auch die Horizonte eines Spiegelkabinetts, eines Panoramas, das sich immer wieder selbst reproduziert. Es heißt, der Spiegel wäre das Fenster zur Seele, doch was stellen dann die Spiegelfassaden seelenloser Gebäude dar? Michael Lapuks fotografiert sie immer wieder. Wie Kulissen, wie Hüllen, wie die Modelle ihrer selbst stehen die Hochhäuser und die Trutzburgen von Behörden da, und trotz der vielen Fenster in ihre Seele machen sie dicht. Diese Baukästen scheinen nicht zugänglich, sie sind gegenwärtig, doch durch ihre Menschenleere wirken sie wie vergangen – ihre Portraits interpretieren die Moderne als unsere Antike. Deutlicher noch zeigt sich das in Michael Lapuks Zeichnungen einer postmodernen Antike. In ihren schwarzen, Alfred Kubin-haften Schraffuren richten sich die Fassaden wie das Bühnenbild eines Traumes auf. Von totalitärer Präsenz erinnern sie an die Zeichnungen eines Giovanni Battista Piranesi, an seine megalomanischen Architekturphantasmen antiker Ruinen. Michael Lapuks zeichnet sie immer wieder. Denn kein Raum ist leer. Der Raum hinter der verschlossenen Tür ist voll von unseren Bildern.

Den unbekannten Raum durch seine versperrte Tür abzubilden, mag auch bedeuten, gegen die Wand zu rennen, die man selbst gemauert hat. Was offen ist, das lädt wie ein Lächeln ein. Doch was sich verschließt und damit verschlüsselt, das lädt zu Fragen ein, wenn auch zuweilen ohne Recht auf Antwort.

Die Ausstellung von Michael Lapuks Bildern gleicht einem Fragenkatalog. Seine Bilder sind konkret und bieten doch die Möglichkeit zur Spekulation, so wie auch diese Eröffnungsrede nur spekulativ sein kann.

Aber der Frage nach dem Raum hinter dem Raum öffnet sich nun ein weiterer Raum, in dem wir gemeinsam und in diesem Moment stehen. Seine Adresse ist eine Praxis. und eine Praxis ist ein Ort der Erlösung, aber auch ein Schmerzzentrum. Das hat sie mit einer Ausstellung gleich, die nicht nur der Erbauung dient. Und wie die Geschichte von Medizin und Kunst zeigt, waren beide noch nie ein Gegensatzpaar. Diese Praxis ist also auch ein Kunstzentrum, denn jeder Raum, der Kunst willkommen heißt, ist ein Ort der Kunst. Ich wünsche dieser Ausstellung viele Patienten und den Besuchern dieser Praxis der Kunst, daß sie befreit, aber nicht frei von Fragen an die intensiven Bildwelten Michael Lapuks’ gehen.

Rainer Bessling
Michael Lapuks: Fluchten. Kaponier, Vechta, 19. April 2013

Die Titel der Arbeiten dokumentieren die rege Reisetätigkeit des Künstlers. Chicago, Lagos, St. Louis, Dakar, Tel Aviv und auch zwei Mal Vechta. Es dürfte eher selten sein, dass das südoldenburgische Oberzentrum in einem Kontext mit solchen klingenden Stadtnamen steht. Seine Arbeit am Berliner Institut für Auslandsbeziehungen führt Michael Lapuks rund um die Welt.

Schon seit vielen Jahren hält er seine Eindrücke von der Architektur der bereisten Städte fotografisch fest. Manchmal, eher die Ausnahme, zeichnet er auch direkt vor dem Objekt. Zumeist sind die Aufnahmen nicht geplant. Sie entstehen beim Durchqueren der Metropolen, in der Regel schnell, und sie halten das fest, was dem flanierenden Besucher spontan ins Auge fällt.

Worum handelt es sich dabei? Hong Kong habe ihn beeindruckt, sagte Lapuks mal in einem Interview, wegen des Miteinanders von eher traditioneller chinesischer Architektur und den futuristischen Bauten einer modernen Metropole. Wie eine lebendige Filmkulisse sei es ihm vorgekommen. Als eine organisch ausufernde Architektur, nicht nur klimatisch im Dschungel, stelle sich ihm Jakarta dar. Auch Mexiko City und Istanbul seien besondere Erlebnisse und Erfahrungen für ihn gewesen.

In den Werken des gebürtigen Bremers finden sich nun nicht, wie Sie beim ersten Betrachten der Exponate sicher schon festgestellt haben, die vielfach abgebildeten Wahrzeichen von Städten, nicht die ikonischen Silhouetten. Lapuks nimmt Architekturen in den Blick, die weniger aus dem städtischen Zusammenhang herausragen, sondern in denen sich fundamentale, allgemeine Momente des Bauens und Wohnens widerspiegeln. Er blendet in der grafischen Umsetzung der Fotovorlagen Passanten und Situationen des städtischen Lebens aus, tilgt alle erzählerischen Momente und greift die wesentlichen urbanen Strukturen und Umrisslinien in Detailausschnitten auf.

Dadurch entstehen eher anonyme bauliche Ansichten und Situationen, losgelöst aus ihrem Ortsbezug und dadurch ins Typische gewendet. Es sind Architekturen, die sich im Kern auf der ganzen Welt finden lassen, weil sie allgemeinen menschlichen Bedürfnissen und bestimmten formalen Grundkategorien, also ästhetischen Erwägungen, folgen. Städtische Strukturen, die trotz ihrer konstruktiven Anmutung wie selbstverständlich, aus einer Eigendynamik heraus, entstanden zu sein scheinen.

Es geht Lapuks dabei nicht um die Darstellung von globaler Uniformität und Austauschbarkeit. Vielmehr lassen seine Arbeiten auch den Eindruck entstehen, er „würde das bereits ,Bekannte‘ in fremden Orten suchen“. So könnte man in seinen Holzschnitten eine Verschmelzung einzelner charakteristischer Stadtansichten sehen. Es deutet sich die Vorstellung eines einzigen, aus real gesehenen Partikeln zusammengefügten imaginären Ortes an, der überall und nirgends liegen könnte. Lapuks lenkt unseren Blick nicht auf markante Attribute, an denen wir einen bestimmten urbanen Zustand ablesen können. Vielmehr öffnet er unsere Imagination und erlaubt uns, ja gibt uns den Impuls, um die Grundgerüste architektonischer Gebilde herum Behausungen zu bauen.

Erker beispielsweise bilden eine markante Körperlichkeit aus, beschreiben geradezu eine skulpturale Form. Mit Fenstern und Türen gewinnen Häuser ein bestimmtes Gesicht. Lapuks fokussiert diese vorzugsweise stillen Momente, löst das Stadtbild von jeglichem Repräsentationscharakter, ignoriert Belege für den Ehrgeiz von Architekten, Exklusivität und Innovation auszuflaggen.

Michael Lapuks ist kein Architekturfotograf im klassischen Sinne, sondern eher ein Porträtist städtischer Wohnsituationen, die auf eine eigene Art Individualität und Profil aufweisen. In der ins seinen Arbeiten auf wenige Striche konzentrierten ausschnitthaften Physiognomie von Bauwerken spiegelt sich ein Bauplan wider, hinter dem ein Körperkonzept steht. Schließlich reagiert Behausung auf Körperbedürfnisse, will funktional sein und gleichzeitig die Sinne ansprechen. Die Umgrenzung von Raum und die Definition von Raum wird immer von einer physischen Seite her entwickelt. Wie steht der Körper zum Raum, im Raum? Lapuks Arbeiten fordern uns auch implizit auf, unseren Standort in dieser Architektur, unsere Perspektive auf diese Bauwerke zu suchen.

Wenig verwunderlich, dass Lapuks im Laufe der Zeit den künstlerischen, den Kompositionen antizipierenden Blick weiter ausgebildet und verfeinert hat, der ihn an die formalen, vorzugsweise an die grafischen Aspekte der Architekturen anschließen lässt. Die Gliederung der Fassaden, die dynamischen Fluchten, so ist ja auch diese Ausstellung überschrieben, die Volumina, die durch die grafischen Momente beschrieben werden – das sind Aspekte, die ihn aufmerksam werden lassen.

Schauen wir uns einige Werke etwas genauer an. „Chicago 1“ ist in der Grundstruktur gekennzeichnet durch zwei Gebäudeteile, die im Kontrast miteinander korrespondieren: eine Art Turm, auf dessen Oberfläche ein eher geschwungenes Raster paralleler horizontaler Linien trägt, und ein trapezförmiger Keil mit einer mehr in der Bilddiagonalen liegenden Strichformation. Beide auf diese Weise in Spannung gesetzten Bildelemente streben nach oben. Das Trapez wirkt wie eine Startrampe. Die leichte Untersicht verstärkt den Eindruck des dynamisch Himmelsstürmenden. Die harten Anschnitte verleihen der auf wenige Linien reduzierten Komposition zusätzlich Energie, weiter verstärkt durch das vitale Rot des Bildgrunds, das im Komplementärkontrast zu den grünen Konturen liegt. An den Rändern der Linien bilden sich durch das Zusammentreffen der Farben ein leichter heller Schimmer.

In dem Bild „Chicago 2“ wird deutlich, wie stark auch die vermeintlichen Leerflächen in Lapuks Arbeiten mitwirken. Ein zentral platzierter Gebäudeblock trägt eine Gitterstruktur auf der Fassade. Am oberen Bildrand und in der Diagonalen verlaufende Balken legen sich vor die Architektur und erzeugen Staffelung in der Tiefe. Kleine angeschnittene Gebäudeteile in den unteren Bildecken sorgen für weitere Rahmung und erwecken zugleich den Eindruck von Größe und Weite der Gesamtsituation.

Die beiden Bilder „St. Louis 1“ und „St. Louis 2“ fallen insbesondere durch ihre verschachtelten Strukturen auf. In der Aufnahme der Gebäudelinien stellt sich ein in sich verschlungenes Muster dar, in dem verschiedene Fassadenkonturen und -bänder reibungsvoll in Dialoge treten. Die Linienführung und Flächengliederung wird immer wieder durchbrochen. Verschiedene Rhythmen sind erkennbar, das Auge bleibt in Bewegung. Der Betrachter nimmt die Verfolgung der Fluchten auf. Die durch Reduktion erzeugte Offenheit der zum Ornamentalen strebenden Gefüge lässt ihn eigene Projektionen an diese Architekturen anlagern. Was könnten das für Gebäude sein? Wozu dienen sie? Wer lebt oder arbeitet hier?Was macht diese Architektur mit den Bewohnern und den Bürger der Stadt?

Im Laufe der Jahre hat sich mit Lapuks‘ visuellem Tagebuch ein grafisches Repertoire, ein bestimmter Kanon an universellen Formen aufgebaut – eine weiter wachsende Typologie architektonischer Momente und Eigenarten. Besondere Aufmerksamkeit widmet der Künstler dem Wachstum und der Veränderung der Städte. In dieser Hinsicht gibt es dann doch regionale Unterschiede. In reglementierten Zusammenhängen wie etwa in Deutschland fällt die Entwicklung anders aus als an Orten, die mit dem Ausbau von Häusern und urbanen Wucherungen anders umgehen.

Die Grafiken „zeigen auch das Lebendige der Motive selbst, nämlich in dem fast organisch anmutenden wuchernden Wachstum vor allem nicht-europäischer Städte, die sich in ihrem chaotischen Neben-, Über- und Ineinander äußert. So wirken die Städte, je größer sie werden, immer mehr wie Wälder aus Stein, die keinem Bauplan zu folgen scheinen, sondern gleichsam auf dem Humusarchitektonischer Vergangenheit immer weiter wachsen. In diesem Sinne gleicht eine Gang durch diese Städte einem Spaziergang im Wald“, schreibt Max Gregerek in einem Beitrag über den Künstler.

Darin klingt an, dass sich Lapuks‘ Passage auf städtischen Straßen mit dem Gang durch die Natur vergleichen ließe. So verknappt die Kompositionen auch sind, erinnern sie doch auch an Landschaftsbilder, in denen sich ein humaner Blick widerspiegelt, ein vielleicht romantischer Blick mit eigenen Entwürfen, mit suchenden Fragen an das Vergangene, das Künftige, zur eigenen Rolle an diesem Ort und in diesen Zeiten. Nicht, dass Lapuks unpolitisch wäre oder nicht interessiert an den gesellschaftlichen Aspekten von Architektur und Urbanität, doch diese stehen in seinen bildnerischen Arbeiten nicht im Vordergrund, lassen sich eher assoziativ damit in Verbindung bringen.

Michael Lapuks kommt von der Malerei. Das sieht man an den Arbeiten, die er nach Vechta mitgebracht hat. Viele sind in diesem Jahr und eigens für diese Ausstellung entstanden. Sie spiegeln einen Schwerpunkt im Gesamtwerk des Künstlers wider. Holzschnitte auf Nessel, schon durch den Bildträger gewinnen sie eine malerische Anmutung. Das Wechselspiel zwischen farbiger Grundierung und gedruckten Farbflächen, bei dem die Oberfläche immer wieder poröse Öffnungen aufweist, vermittelt den Eindruck einer stofflichen Haut, einer atmenden Membran.

Lapuks schätzt die Druckgrafik, weil sie seinem Streben nach Reduktion und Klarheit entspricht. Zudem kommt der serielle Charakter druckgrafischer Techniken seinen Vorstellungen von Bildsequenzen entgegen. Der distanziertere Druckprozess hilft auch bei der Entscheidung für Bildlösungen. Der Künstler mag auch den physischen Aspekt dieser Arbeit: den Widerstand, den die Druckplatte liefert. Die direkt ins Material gebrachten Spuren sind authentisch. Gleichzeitig bietet der handwerkliche Anteil des Druckens ein Gegengewicht der Kontrolle gegenüber dem Emotionalen des Zeichnerischen.

In früheren grafischen Arbeiten beschränkte er sich zumeist auf den das Medium kennzeichnenden Schwarz-Weiß-Kontrast. Nun kommt immer mehr Farbe ins Spiel. Zum einen ist es die Farbe, die der Künstler subjektiv mit einem Ort assoziiert, eher intuitiv, nicht illustrierend. Zum anderen nimmt er bestimmte Farbsetzungen vor, um eine Fläche zu haben, auf die er grafisch reagieren kann. „Ich versuche dem jeweiligen Bild die ihm eigene und am besten zustehende Farbkombination zu geben. Die Farbgebung steht im besten Fall gleichberechtigt neben der Linie und dem mit der Linie dargestellten Motiv.“

Er schafft so das Wechselspiel zwischen einer Oberfläche, die in ihrer Struktur und Textur eine malerische Qualität besetzt, und den klaren Lineaturen der abstrahierten Architektur. Durch die Korrespondenz zwischen Farbe und Linie, zwischen Malerei und Grafik setzt er Bewegung ins Bild, schafft eine zusätzliche vibrierende Ebene, die Bewegung und die eine Offenheit vermittelt, die über das sichtbare Bildgeschehen hinausgeht, die darauf verweist, dass sich nicht alles in einem Bild sagen lässt. Komplementärkontraste wie Rot und Grün erzielen eine ähnliche Wirkung.

In seinen Radierungen greift Lapuks unter anderem auch Architekturansichten aus Filmen auf. Ihn interessieren besonders Sci-Fi-Filme wie Matrix oder Blade Runner.

Damit kommt der Faktor Zeit ins Spiel. Wie stellen sich die Kulissenarchitekten des Kinos die Städte der Zukunft vor? Ist-Zustände werden fortgeschrieben, das ist kein wildes freies Fantasieren, das sind vielmehr spannende Projektionen in die Zukunft unter Berücksichtigung der real möglichen oder vorstellbaren Entwicklungspotenziale und -entwürfe.

Lapuks beobachtet und protokolliert mit der Transformation seiner Fotografien urbane Veränderungen. Mit den Filmen wirft er einen Blick in die Zukunft. Zugleich beschäftigt er sich aber auch mit historischen Zukunftsentwürfen. Etwa mit denen von Antonio Sant‘Elia, einem italienischen Architekten des Futurismus. Was dachten früher Architekten, Künstler, Filmemacher über das zukünftige Erscheinungsbild, über die künftige Situation der Städte, darüber, wie Menschen in der Zukunft leben? Die Mega-Cities, die jüngst entstanden sind und weiter wachsen werden, sind ja früh prognostiziert worden. Wie lange sich ein in der Frühzeit der Moderne kaum vorstellbares Gebilde wie Dubai wird halten können, dürfen wir nun spekulieren. Die Basis solcher Konstruktionen ist nicht für die Ewigkeit ausgelegt.

Mit der Oberflächenstruktur der Kaltnadelradierung nutzt Michael Lapuks ein feinnerviges Liniengeflecht, das dem Bild eine vielschichtige, geheimnisvolle bis historische Aura verleiht. Vielleicht will der eine oder andere darin das Flimmern alter Leinwandstreifen sehen. Die tiefe Schwärze des Drucks verleiht den Gebäuden massige Präsenz. Die fast pulsierende, atmende Gitterstruktur der Wohnblöcke lässt die urbanen Zusammenballungen zugleich eher schweben. Realität und Möglichkeit begegnen sich hier ebenso spannungsvoll, wie sich auf diese zivilisatorischen Verdichtung mit Faszination und Schrecken zugleich blicken lässt.